10. May, 1928.
Liebe Lise,
Knapp nachdem ich Ihnen der Angelegenheit meines Bruders geschrieben hatte, bekam Franzi einen Auftrag, der es uns ermöglicht Sie herauszubringen. Die Aussicht wer damals schon vorhanden, aber in den sechs Jahren hier waren so oft „Aussichten“, die sich nicht verwirklichten, dass wird niemand und nichts trauen bis etwas schwarz auf weiß stipuliert ist.
Franzi ist betraut die Erziehung des einzigen Sohnes einer berühmten Schauspielerin zu leite. Das Kind ist so vernachlässigt, dass es mit 6 Jahren noch nicht sprechen kann, etc. Ein Kinderarzt, der Franzi’s musikalisch-therapeutische Arbeit kennt sandte die Schauspielerin zu ihr und aus den Resultaten der ersten Wochen erwuchs dieser Auftrag. Vorläufig ist das Arrangement nur bis Oktober gemacht, aber es ist alle Aussicht vorhanden, dass sich aus dem Experiment die Möglichkeit entwickelt den musikalischen Kindergarten zu gründen, den Franzi mangels Rückhaltes – finanziellem – nicht anfangen konnte. Alles schwimmt in der Luft, aber Franzis fixer Gehalt bis ersten Oktober ermöglicht ihr so viel zu reservieren, dass wir Sie herausbringen lassen können und Sue zur Leitung unseres Haushaltes anstellen können.
Bisher hat Franzi alle Hausarbeit, neben dem Unterrichten selbst besorgt, muss jetzt aber davon frei sein um sich ganz dem Kind, und den wenigen Schülern, die sie außerdem hat, widmen zu können.
Wenn Franzi’s Pläne sich verwirklichen kann, sie Sie sann für die Schule anstellen. Wie bereits gekabelt, bieten wir Ihnen monatlich 65.$ und volle Verpflegung an. Das ist in New York guter Gehalt. Und selbstverständlich wird sie Ihnen bessern, wenn die Sache sich stabilisiert. Wenn nicht bleibt es Ihnen frei bei uns zu bleiben oder sich anderweitig umzuschauen. In Chicago wird Hausarbeit besser bezahlt, aber intelligente Leute können nicht in Chicago leben.
Ich hätte Ihnen das Geld gerne heute gekabelt, aber Franzi hat ihr noch nicht. Die Schauspielerin ist nämlich furchtbar unpünktlich, und Franzi hat ihr heute das zweite Telegramm schicken müssen wegen des rückständigen Gehalts. Ihr Hauspersonal ist seit Jahren bei ihr angestellt; die Leute sagen das Geld ist gut, nur muss man ihr immer machlaufen und bekommt es niemals pünktlich. So wie der Check ankommt werden wir Ihnen das Geld kabeln.
Von dem Geld gehört soviel Ihnen, als wir Ihnen aus der unglücklichen Affair meinem Bruder schuldig sein. Das übrige des Vorschusses können Sie dann in monatlichen Raten von dem Gehalt abzahlen. Ich werde 10.$ dazu tun und bitte Sie dafür zu bringen: drei gute klinische Thermometer, da man hier keine europäischen haben kann, und wir uns mit den amerikanischen Fahrenheit Thermometern nicht auskennen. Ich bin oft im Verdacht von etwas erhöhter Temperatur, und habe alle mitgebrachten Thermometer zerbrechen. Ferner bitte ich Sie mir eine ganz glatte Bernstein Zigatten-Spitzen mitzubringen.
Es tut uns sehr leid, dass wir Ihnen nicht Geld für Sachen mitzubringen verschießen könne, aber selbst bis 450 sind schwer abzuzwacken. Ich selbst verdiene nicht einen Dollar und habe auch keine Aussicht zu verdienen. Wenn Sie Sachen haben, die hier verwertbar sind, bereiten Sie die so vor, dass wir sie eventuell später durch Freunde herausbringen lassen könne. Sie werden ja hier selbst sehen können, was man hier brauchen kann. Mehrere unserer Bekannten werden im Spätsommer in Wien sein und uns Ihr Paket herausbringen können, wenn Sie es dann noch wollen.
Das beiliegende Affidavit von Frau Beran ermöglicht Ihnen das amerikanische Visum zu bekommen. Wie setzen voraus, dass Sie kein Auswanderer Visum haben können. Das wäre natürlich das Beste. Aber das Besuchsvisum kann immer verlängert werden, nur müssen wir dann bei Ihrer Ankunft hier 500.- bei den Einwanderungsbehörden als Garantie niederlegen. Es gibt Firmen, die diese Garantiebonds borgen, und werden das für Sie tun. Die Garantie wird zurückzahlt, wenn der Besucher wieder abreist.
Wenn Sie uns Ihre Abfahrt kabeln, müssen Sie hinzufügen „Studyvisum“, dann bereiten wir die Garantie vor.
In dem außerordentlichen Fall, dass es Ihnen irgendwie glückt, Emigrantenvisum zu bekommen, bauchen Sie nichts über das Visum zu kabeln. Es ist am besten Sie sagen die kommen heraus um Kinderernährungsfragen zu studieren. Sagen Sie, Sie seien Spezialist in dieser Frage, und erwähnen Sie dass Sie an der Pirquet Klinik gearbeitet haben. Dr. Schick, früher Assistent Pirquet’s ist hier in hervorragender Stelle als Abteilungschef im Mount Sinai Hospital.
Wenn die Einwanderungsbehörde Ihnen am Schiff bei der Ankunft Schwierigkeiten machen sollte, Sie vielleicht nicht landen lasst, sondern Sie in Ellis Island zurück halt, bleiben Sie dann ganz ruhig. Erwähnen Sie nicht Franzi’s oder meinen Namen, sondern nur Frau Frances Hoffman-Beran. Adresse: 206 West 104. Telephon: Academy 7325.
Ich werde Sie beim Schiff erwarten, und wenn Sie nicht landen dürfen, das passiert oft ganz grundlos, bitte rufen Sie sofort telefonisch Frau Beran auf. Franzi wird bereit sein, so dass wir dann sofort Schritte machen Sie heraus zu bekommen. Ich schreibe all das so ausführlich, weil wir Erfahrungen haben.
Die Einwanderungsbehörden sind sehr strict, und Sie dürfen sich nicht wiedersprechen. Was Sie in Wien als Grund für Ihre Reise abgeben, müssen Sie auch hier sagen. Schreiben Sie sich Frau Beran’s Adresse und Telefonnummer auf eine Karte und halten Sie die in der Handtasche. Sie müssen sagen, dass Sie Frau Beran durch gemeinsame Bekannte kennengelernt haben, als Sie vor einigen Jahren in Wien war. (Sie muss als persönliche Bekannte gelten. Erwähnen Sie nicht die Friedenskongresse, sondern die Save the Children Bewegung. Erzählen Sie, dass Sie mit dieser Bewegung gearbeitet haben, was ja Tatsache ist.
Es ist möglich, dass Sie all das nicht brauchen werden, aber ebenso möglich, dass Ihnen diese Winke gut kommen werden.
Wir sind sehr froh, dass wir Ihnen endlich die Möglichkeit bieten können heraus zu kommen. Seit Sie schrieben, Sie möchten kommen, haben wir alles – jedoch vergebens versucht. Amerikanischen Versprechungen kann macht nicht glauben. Das werde Sie schon hier sehen.
Nicht wahr Sie verstehen ganz klar, dass es sich um eine Haushaltungsstelle handelt. D.h. kochen und zusammenraumen, etc. Bloß große Wäsche und Fensterputzen wird von extra Hilfe gemacht werden, alles Übrige wird Ihre Arbeit sein. Aber Franzi hat all das bisher selber gemacht und außerdem unterrichtet und unsere gute Mama gepflegt. Sie werden natürlich entsprechende freie Zeit haben, die Sie dann verwenden können, wie es Ihnen passt. Natürlich betrachten wir Sie dann Hausgenossin, das brauche ich wohl nicht extra sagen.
Ich hoffe, alles geht glatt und dass wir Sie Anfangs Juni hier gesund und munter empfangen werden können.
Mit besten Grüßen, auch von Franzi,
Herzlichst,
Rosika
New York Public Library Manuscripts and Archives Division. Rosika Schwimmer Papers, Box 179.