München, den 12. April 1928.
Liebe Frau Schwimmer!
Ich danke Ihnen für Ihre Sendung von 11. März. Die mir gesandten Briefe habe ich an die aufgegebenen Namen weitergegeben. Dass Sie keinen Parr erhalten können, ist unerhört. Ich kann es vollkommen begreifen, dass Sie sich in einer unerträglichen Lage befinden, wenn man nur wüsste, wie man Ihnen helfen könnte! Es tut mir aufrichtig leid, dass Sie in den Vereinigten Staaten mi verschiedenen Frauenorganisationen so wenig erfreuliche Erfahrungen gemacht haben. Ich verstehe, dass das außerordentlich schmerzlich für Sie ist, aber denken Sie, derartige persönliche Erlebnisse, die wir ja mehr oder weniger alle im Laufe eines langen Lebens machen müssen, können meinen Glauben an das weibliche Geschlecht nicht erschüttern. Was bedeutet diese kleine Zahl von Frauen, die wir in unserem Leben kennen lernen, verglichen mit der Gesamtheit der Frauen! Außerdem wollen wir niemals vergessen, wieviel mutige, großzügige und feine Charaktere sich unter den Frauen befinden, die wir kennen, verglichen mit einer gleichen Zahl von Männern unserer Bekanntschaft.
Ich bleibe dabei, die Frauen haben eine besondere Aufgabe zu erfüllen und werden sie erfüllen, oder die Welt wird zugrunde gehen. Die Einrichtungen in den Männerstaaten, in denen die Frauen leben müssen, haben ihnen so viel von ihrer Ursprünglichkeit genommen, nur wenige Frauen gehen durch diesen Männerstaat ohne Abbruch an ihrem wahren Weibtum zu nehmen, aber diese wenigen werden sich schließlich durchsetzen, das steht für mich fest, wenn wir es auch nicht erleben werden. Mein Glaube an das Gute in den Frauen ist unerschütterlich.
Was nun unsere Liga betrifft, so nimmt sie den Weg aller Organisationen, und dennoch kann ich Ihnen sagen, der Geist, der bei ihrer Gründung maßgebend war, ist noch immer lebendig, das haben wir soeben wieder bei den Verhandlungen in Genf erlebt. Das Vorgehen der englischen Sektion war wenig erfreulich, in jeder Männerorganisation hätten derartige Vorkommnisse zu Krach und Spaltung geführt, wie einigten uns in loyaler Weise und fanden Mittel und Wege, dass ähnliche Vorkommnisse in Zukunft nicht wieder vorkommen.
Frau Meller war in Genf. Ja, Ihr armes Ungarn, es ist ein Trauerspiel. Der Tod von Vilma Glücklich ist ein Verhängnis für die ungarische Sektion. Die noch vorhandenen Kräfte wollen das beste und sind feine Menschen in der Gesinnung, aber es fehlt an Führung und wirklich hervorragenden Persönlichkeiten.
Wir haben keinen erfreulichen Winter hinter uns. München ist eine sterbende Stadt. Alles geht zurück. Politik, Musik, Theater usw. Vor 20 Jahren hätten wir solch einer Stadt längst den Rücken gewandt, aber mit dem Alter wird man schwerfälliger. Augspurg ist bereits 70 Jahre, da fasst man nicht mehr so schnell einen Entschluss. Hinzu kommt, dass wir eine sehr gute Wohnung haben; wir zogen ins Parterre, haben jetzt sogar einen kleinen Garten und sonst alle Bequemlichkeiten einer modernen Wohnung. Anita Augspurg und ich wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft und senden Ihnen und Ihrer Schwester viele freundliche Grüße,
Ihre
Lida Gustava Heymann
New York Public Library Manuscripts and Archives Division. Rosika Schwimmer Papers, Box 178.